Kunststoff ersetzt legiertes Metall bei Anwendungen in aggressiver Umgebung - Fallbeispiel W. L. Gore
Hochlegiertes Metall galt lange als Werkstoff der Wahl für Anwendungen in aggressiven Umgebungen wie zum Beispiel in der Rauchgasreinigung. Dass Thermoplaste wie Polyphenylensulfid (PPS) bei Anwendungen unter hohen chemischen, thermischen und mechanischen Belastungen gängigen Metallen in nichts nachstehen und sogar Vorteile durch flexiblere Verarbeitbarkeit bieten, wird oft übersehen.
Wir haben W. L. Gore & Associates dabei unterstützt, korrosionsbeständiges Metall im Rahmensystem des GORE Quecksilberfilters komplett durch technischen Kunststoff zu ersetzen. Ein Beispiel für die Leistungsfähigkeit von Kunststoff, das auch in vielen anderen Anwendungsbereichen und Branchen Schule machen könnte.
Quecksilber:
Bedrohung für Gesundheit & Umwelt
Quecksilber ist ein hochgiftiges Schwermetall, das in hoher Dosierung tödlich ist. In der Umwelt breitet sich Quecksilber weiträumig über Wasser und Luft aus und wird von Tieren und Pflanzen aufgenommen. Mehr als 20 Prozent der weltweiten Quecksilber-Emissionen entstehen als Abfallprodukt bei der Verbrennung von Kohle zur Stromerzeugung.
2013 unterzeichneten 128 Staaten die sogenannte Minamata-Konvention, die darauf abzielt, den Ausstoß von Quecksilber weltweit einzudämmen. Neue EU-Vorschriften zur Begrenzung der Quecksilber-Emissionen sollen bis 2021 in Kraft treten. Studien zufolge können 85 Prozent der Quecksilberemissionen mit moderner Technik reduziert werden.
W. L. Gore & Associates bietet mit seinem Quecksilberfilter eine solche Technik zur Reduktion von Quecksilberemissionen aus Kraftwerken, Verbrennungsanlagen und anderen industriellen Quellen an.
Die Technologie:
GORE® Quecksilberfilter
Das GORE® Mercury Control System (GMCS) ist ein fest eingebautes Sorbens-System für die Abscheidung von elementarem und oxidiertem Quecksilber in der Gasphase aus industriellen Rauchgasen.
Das System beruht auf stapelbaren Modulen, die je nach Anforderung in die Rauchgasreinigung integriert werden. Aus statischen Gründen und wegen der aggressiven Umgebungsbedingungen besteht die aus Profilen und Eckverbindungen zusammengesetzte Rahmenkonstruktion der Module aus hochlegiertem Stahl.
Das Herz der Technologie bildet ein von W.L. Gore entwickeltes Material auf der Basis von Fluorpolymeren, ein Sorbent-Polymerkatalysator (SPC) Verbundmaterial. Das Sorbens in diesem Material scheidet nicht nur elementares und oxidiertes Quecksilber aus dem Rauchgasstrom ab und bindet es. Es entschwefelt zusätzlich den Gasstrom durch die Umwandlung von Schwefeldioxid in flüssige Schwefelsäure.
Die Zielsetzung:
Herstellung vereinfachen, Metallteile durch Kunststoff ersetzen
Damit die GMCS-Module über viele Jahre wartungsfrei betrieben werden können, müssen die eingesetzten Werkstoffe nicht nur hohen chemischen und thermischen, sondern auch mechanischen Belastungen standhalten. Diese können durch die Stapelung der Module oder beim Transport, der Handhabung und der Installation der Module durch Montage- und Betriebspersonal entstehen.
Die Konstruktion der Module ist darauf ausgelegt, maximale Stabilität und eine möglichst lange Lebensdauer zu realisieren. Bei der Herstellung der Modulrahmen soll auf schwer zu verarbeitende korrosionsbeständige Metalle verzichtet werden. Dann wäre auch eine Vor-Ort-Montage in weniger entwickelten Ländern oder weit entfernten Standorten möglich. Deshalb arbeiten die Ingenieure bei W. L. Gore & Associates fortlaufend daran, Komponenten und Werkstoffe zu optimieren.
Ziel der Zusammenarbeit mit Technoform ist es, mittelfristig Metall durch Komponenten aus widerstandsfähigem Kunststoff zu ersetzen. Gleichzeitig soll eine alternative Lösung aus Kunststoff helfen, Komponenten einfacher zu montieren und flexibler an neue Anforderungen anpassen zu können.
Die Herausforderung:
Den richtigen Kunststoff für hohe chemische, thermische und mechanische Belastungen finden
Um den Anforderungen an die hohen chemischen, thermischen und mechanischen Belastungen in der Rauchgasreinigung zu genügen, bestand das Rahmensystem der GMCS-Module bisher aus korrosionsbeständigem Metall. Die Beständigkeit der Metallelemente gegen Stress-Korrosionsrisse und Säuren wurde durch Nickel-Molybdän-Legierungen sichergestellt.
Korrosionsbeständiges Metall zu aufwändig in der Verarbeitung
Wegen des vergleichsweise hohen Aufwandes bei der Verarbeitung legierter Metalle suchten die Entwickler bei W. L. Gore & Associates schon lange nach alternativen Lösungen. Kunststoff wurde vor der Zusammenarbeit mit Technoform zwar in Betracht gezogen, jedoch wieder verworfen. Er schien für die hohen chemische, thermischen und mechanischen Belastungen in der Rauchgasreinigung nicht geeignet.
Thermoplast als vollwertige Alternative
Was die Entwickler von W. L. Gore & Associates zum damaligen Zeitpunkt nicht in Erwägung zogen: Als Ersatz für korrosionsbeständige Metalle in aggressiven Umgebungen bietet sich Polyphenylensulfid (PPS) an. Dabei handelt es sich um einen technischen Thermoplast, der sich durch sehr hohe Chemikalien- und Wärmeformbeständigkeit sowie Steifigkeit auszeichnet und sich daher bestens für den Einsatz im GORE® Mercury Control System eignet.
Die Lösung:
Kunststoffprofile und -verbindungsmittel für aggressive Umgebungen von Technoform
Technoform ist auf die Extrusion von thermoplastischen Kunststoffprofilen spezialisiert. Wir liefern nicht nur fertige Kunststoffprodukte, sondern wir sind auch Entwicklungspartner für individuelle Lösungen und eine Vielzahl von Branchen und Anwendungsbereiche wie z.B. Elektrotechnik, Automotive, Maschinenbau u.v.a..
Gemeinsam mit W. L. Gore & Associates haben unsere Experten Kunststoffprofile für das GORE® Mercury Control System entwickelt, die die gleiche chemische, thermische und mechanische Beständigkeit aufweisen, wie die ursprünglichen Bauteile aus Metall Legierungen, jedoch in der Montage einfacher zu verarbeiten und anzupassen sind.
Neben tragenden Profilen aus PPS GF 40, die wir individuell entwickeln und in hochpräzisen Extrusionsverfahren fertigen, kommen für Eckverbindungen in den GMCS-Modulen von W. L. Gore & Associates auch Spritzgusselemente aus Kunststoff zum Einsatz, die die bisherigen Komponenten aus korrosionsbeständigem Metall ersetzen.
Das Ergebnis:
Alternative Lösung aus Kunststoff nach nur 12 Monaten Entwicklung im Pilotbetrieb
Rapid-Profiling-Verfahren und intensive Tests in Zusammenarbeit mit W. L. Gore & Associates ermöglichten einen extrem schnellen Innovationsprozess: Nur 12 Monate nach dem ersten Austausch über Anforderungen und mögliche Lösungsansätze gelangte das GORE® Mercury Control System mit unseren neuen Kunststoffprofilen und Verbindungselementen in den Pilotbetrieb in Industrieanlagen in Europa und in den USA.
Dr. Ole Petzoldt, W. L. Gore & Associates
Die für diese Art Innovationsprojekt sehr kurze Entwicklungszeit ist unter anderem der Tatsache zu verdanken, dass hier zwei Unternehmen zusammenarbeiten, die nach agilen Prinzipien sehr ergebnisorientiert und in kleinen flexiblen Teams mit kurzen Entscheidungs- und Kommunikationswegen arbeiten. Auf diese Weise können wir schnell auf neue Anforderungen im Projektverlauf reagieren und den Kurs bei Bedarf neu justieren.
Die Zusammenarbeit:
3 Fragen an Dr. Ole Petzoldt,
W.L. Gore & Associates
Dr. Ole Petzoldt ist Business Development Manager bei W. L. Gore & Associates und war wichtiger Impulsgeber in unserem Projekt.
Wie kam es zur Zusammenarbeit zwischen W. L. Gore & Associates und Technoform?
Ich habe Ende 2019 den GORE® Quecksilberfilter auf der Berliner Klärschlammkonferenz vorgestellt. Nach meinem Vortrag kam ich mit Dr. Thorge Brünig von Technoform ins Gespräch. Wir diskutierten Möglichkeiten, unser Produkt mit Bauelementen aus Kunststoff zu optimieren.
Da wir bei W. L. Gore & Associates bereits länger darüber nachgedacht hatten, Metallkomponenten in unseren Filtermodulen durch alternative Werkstoffe zu ersetzen, die sich auch in der Montage einfacher verarbeiten lassen, war es ein glücklicher Zufall, auf dieser Konferenz einen Kunststoffexperten zu treffen, der genau das im Gepäck hatte, was wir suchten.
Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit Technoform von der Planung bis zur Umsetzung?
Die Chemie stimmte von Anfang an, sowohl auf der fachlichen als auch auf der menschlichen Ebene. Unsere Unternehmen “ticken” sehr ähnlich, was agile Forschung und Entwicklung anbetrifft. Hier werden aus Visionen in kürzester Zeit hochwertige Lösungen. Was uns antreibt ist ein hoher Anspruch an die Qualität unserer Produkte.
Das Team von Technoform hat in allen Phasen der Planung und Entwicklung sehr integriert und engmaschig mit unseren Teams in Deutschland und in den USA zusammengearbeitet. Unsere Zusammenarbeit profitiert sehr von einer gemeinsamen Vision und der Kooperation auf Augenhöhe. Wir nehmen Technoform als kreativen Partner wahr, der uns hilft, unser Produkt zu optimieren.
Was haben Sie aus dem Projekt gelernt, was würden Sie beim nächsten Mal anders machen?
Auch wenn wir uns bei W. L. Gore & Associates sehr gut mit Kunststoffen auskennen, gibt es immer Unternehmen, die in Spezialfragen ein tieferes Verständnis und mehr Erfahrung haben. Statt zu versuchen, unser Produkt auf eigene Faust zu optimieren, haben wir mit Hilfe von Technoform viel Zeit (und vermutlich auch Nerven) gespart und sind in sehr kurzer Zeit zu einem überragenden Ergebnis gekommen.
Dabei habe ich persönlich nochmal einen ganz anderen Blick dafür gewonnen, was Kunststoff leisten kann. Es gibt im Grunde kaum eine Anwendung, für die man nicht über Kunststoff als Werkstoff für Bauteile nachdenken sollte. Beim nächsten Projekt dieser Art werde ich sicher früher über meinen fachlichen Tellerrand blicken. Dass sich das immer lohnt, hat unser Projekt mit Technoform gezeigt.
Fazit:
Kunststoff als leistungsstarke Alternative zu Metall
Thermoplaste sind wahre Allrounder und eignen sich selbst für Anwendungen unter extremen Bedingungen wie in der Rauchgasreinigung. Das Beispiel GORE® Mercury Control Systems zeigt, dass das auch dort der Fall ist, wo auf den ersten Blick kein Weg an extrem hochwertigen Metallen als Werkstoff für Systemkomponenten vorbei zu gehen scheint.
In weniger als einem Jahr haben wir gemeinsam mit W. L. Gore & Associates eine alternative Lösung für das Rahmensystem der Filtermodule entwickelt, das ganz ohne Metall auskommt und trotzdem die Anforderungen an die Beständigkeit gegenüber chemischen, thermischen und mechanischen Belastungen in der Rauchgasreinigung zu 100 Prozent erfüllt.
Durch den Einsatz von technischem Kunststoff konnte die Montage der Rahmenprofile vereinfacht werden. Gute Lösungen liegen oft näher, als man denkt.
Weitere Informationen:
Video: Dr. Ole Petzoldt erläutert Funktionsweise und Vorteile des GORE® Quecksilberfilters
(Beitrag zum 52. Kraftwerkstechnischen Kolloquium im Oktober 2020 in Dresden).